Führung im Gesundheitsbereich

Change 2 Health

Der gesellschaftliche Wandel fordert Organisationen und deren Führungskräfte. Veränderte Arbeitswelten, Digitalisierung, Globalisierung und weitere Trends wirken unmittelbar auf Gesundheitseinrichtungen und wirbeln Staub auf. Was das für Führung bedeutet und wie gesellschaftlicher Wandel auch für notwendige Weiterentwicklung genutzt werden kann, diskutierten Dr. Martina Augl und Harald Lederer mit Expert*innen in Köln.        

Martina Augl und Harald Lederer führten durch den Fokusabend

Dr. Martina Augl, langjährige Leiterin der Organisationsentwicklung eines Trägers von Krankenanstalten in Österreich, stellte in ihrem Input grundlegende Themen vor, mit denen sie in Veränderungsprozessen in Spitälern zu tun hatte. Auf der Suche nach roten Fäden hatte sie gemeinsam mit ihrem Team eine Reihe von Organisationsanalysen ausgewertet und fünf Muster identifiziert, die sich in den verschiedenen Abteilungen und Krankenhausbereichen durchgezogen haben.

Harald Lederer, systemischer Berater und 15 Jahre lang Führungskraft im Gesundheitsbereich, stellte den Bezug zu aktuellen Trends her.

1. Kommunikation findet primär informell statt

In Krankenhäusern gibt es wenig entwickelte Strukturen für Kommunikation über Organisation und Führung. Dort, wo die Beziehungen gut laufen, wird auch miteinander gesprochen. Bei Konflikten oder persönlichen Antipathien bleiben Austausch und Informationsfluss auf der Strecke. Formale Kommunikationskanäle werden wenig genutzt bzw. schlecht angenommen. Zudem findet informelle Kommunikation oftmals sternförmig statt und verändert so die Asymmetrie von Information.

Die Bedeutung digitaler Kommunikation im Gesundheitsbereich steigt. Die Arzt-Patient*innen-Interaktion findet zunehmend im virtuellen Raum statt. Telemedizin, eHealth und mHealth gewinnen an Bedeutung. 1 

Patient*innen-Sicherheit wird in diesem Kontext neu zu denken sein. Fehlende Strukturen für Kommunikation machen den sicheren Umgang mit digitalen Abläufen schwierig und noch unwahrscheinlicher.

Digital braucht analog. Führung ist dafür verantwortlich, belastbare Strukturen, Formen und Räume für gelingende Kommunikation zu schaffen. Nur so kann Digitalität – also nicht allein auf Technik setzende Bilder zukünftiger Arbeit im Gesundheitswesen – gelingen.

2. (Selbst)Verständnis für Führung ist wenig ausgeprägt

Bezogen auf die Aufgabe von Führung finden sich wenig Funktions- und Rollenbewusstsein. Bilder zu Führung sind bei Mitarbeiter*innen und Führungskräften unterschiedlich und bruchstückhaft. Informelle Loyalitäten und intransparente Interessen erschweren Führung.

Fachkräftemangel und sich wandelnden Bedeutungsinhalten von Arbeit im Kontext individueller Lebensgestaltung, stellt Führung vor vollkommen neue Herausforderungen. Gemeinsames Führungsverständnis und kontinuierliche Reflexion über die Wirkung des »miteinander Führens« werden Voraussetzung sein für einen konstruktiven Umgang mit diesen Veränderung.

3. Das Wohl der Patient*innen steht für alle Berufsgruppen im Vordergrund

Grundsätzlich wirken die Kernaufgaben der »Organisation Krankenhaus« stark sinnstiftend. Die Arbeit mit den Patient*innen gibt Energie. Zusätzliche Arbeit – wie Administration und auch Führung – wird als unnötiger Aufwand betrachtet, unklare Zuständigkeiten bzw. nicht nachvollziehbare Aufgabenverlagerungen wirken zudem negativ. Mitunter verstecken sich hinter dem vielzitierten Patientenwohl Eigen- oder Berufsgruppeninteressen. Unnötig empfundene Bürokratie, Administration oder Dokumentation wirken sinnzerstörend.

Menschen in Gesundheitsberufen entscheiden sich bewusst für diese Arbeit und empfinden anfangs tiefen Sinn darin. Dieses Sinnempfinden ist aber weder konstant noch stabil – Sinn kann mit der Zeit zur Worthülse verkommen. Führung ist gefordert, glaubwürdige Sinnangebote zu setzen und Vorbildfunktion bewusster wahrzunehmen. Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, nehmen unterschiedliche Rollen ein. Und es ist legitim, aus diesen unterschiedlichen Perspektiven Interessen zu formulieren und zu vertreten – bspw. geringere Arbeitszeiten, weniger ausbildungsferne Tätigkeiten, bei wichtigen Entscheidungen einbezogen zu werden … . Wenn diese Interessen jedoch alle unter der Tarnkappe »Patientenwohl« erscheinen, ist offene Diskussion darüber kaum möglich. In Zukunft wird es wichtig sein, diese Themen in offenem und klarem Austausch zu bearbeiten. Nur so bekommen wir die anstehenden Herausforderungen in den Griff.   

4. Zunehmende Komplexität erschwert Orientierung und schwächt Identität

Mitarbeiter*innen von Krankenhäusern fühlen sich zunehmend fremdbestimmt und schenken wiederum dem viel Aufmerksamkeit, was nicht beeinflusst werden kann. Eigene Handlungsräume werden dadurch nicht mehr wahrgenommen. Es wird wenig an der Zukunft gearbeitet, Identität aus der Vergangenheit gezogen, Anerkennung im Außen gesucht.

Unsere Gesellschaft wird segmentierter – Unterschiede nehmen zu. Versorgungsmangel ist ebenso gegenwärtig wie Überbehandlung. Marktwirtschaftliche Spielformen greifen im Gesundheitsbereich Platz. Umso wichtiger wird, dass Führung gemeinsame Orientierungspunkte entwickelt. Es reicht nicht, geteilte Werte und gemeinsame Bilder zu den Kernaufgaben einmalig zu beschreiben. Es braucht mutiges Hinterfragen und kontinuierliche Kommunikation zum »why«. Nur so bekommen wir bessere Orientierung und robustere organisationale Identität.

5. Zielgerichtete Steuerung braucht transparente Strukturen und Prozesse

Management und Fachexpert*innen sprechen unterschiedliche Sprachen. Ein gemeinsames Verständnis der Ausgangssituation und das Entwickeln gemeinsamer Zielbilder werden dadurch erschwert. Es gibt wenig Routine im Umgang mit Veränderung und Kontextwissen ist immer nur in Teilen verfügbar. Das große Bild fehlt. Deshalb geht die Arbeit an Strukturen und Prozessen häufig ins Leere. Wird an diesen Themen gearbeitet, lässt sich jedoch vorhandenes System- und Prozesswissen effektiv umsetzen.

Technologischer Wandel, eine älter werdende Gesellschaft und damit verbunden neue Anforderungen an Gesundheitseinrichtungen machen es nötig, bestehende Abläufe und Strukturen zu hinterfragen und neu zu gestalten. Wir werden gut beraten sein, dies nicht aus der inneren Logik der Organisation heraus zu machen – Organisationen tendieren dazu das fortzuschreiben, was bisher erfolgreich war. Führung kann dabei für Außenperspektive sorgen und einen Prozess gestalten, bei dem die Abläufe auch mit den Brillen der Zielgruppen betrachtet werden.

Die Teilnehmer*innen gingen in einen intensiven Austausch über aktuelle Herausforderungen an Führung im Gesundheitsbereich.

  • Bestehende Aufgaben lassen wenig Raum für die Auseinandersetzung mit Digitalisierung und technologischem Wandel. Es fällt schwer, die Kernaufgaben im Blick zu behalten. Es braucht immer wieder ein bewusstes Sich-Motivieren, um die technischen Hürden zu überwinden. Die Menschen in den Organisationen sind hier ein Stück sich selbst überlassen. Hier zeigt sich auch ein großer Unterschied zwischen junger Generation und der Silver Society. Es gibt zu wenig Zeit und Angebote, sich auf neue Herausforderungen – z.B. in Schulungen – vorzubereiten. Zudem: Beziehungsarbeit lässt sich nicht digitalisieren.
  • Informelle Kommunikation hat eine große Bedeutung für das Funktionieren von Organisationen und ist gleichzeitig Hygienefaktor – sie sollte aber nicht anstelle der formalen Kommunikationsstruktur treten, sondern diese ergänzen. Kommunikation wird auch über Sprachbarrieren erschwert – ein Globalisierungs-Phänomen auf das wir im Kontext der Krankenhäuser noch wenig Antworten gefunden haben.
  • Es gibt Bedarf, an gemeinsamen Bildern von Führung zu arbeiten – aber wenig Ideen, wie das gehen könnte. Dezentrale Verantwortung, Führung als Funktion in der Organisation zu verstehen (anstatt das Thema ausschließlich an Personen festzumachen) und wirksamere Kommunikation wird in Zukunft noch wichtiger. Aber zuerst braucht es Ideen, wie das gelingen kann, denn noch dominiert ein strenges, hierarchisches – aber eben nicht mehr ausreichend funktionales – Verständnis von Führung. Hier wünschen sich die Expert*innen mehr Führung im Sinne von Leadership, weniger Management.
    Es gibt wenig Gelegenheit, Führung auch zu lernen. Es bräuchte Zeit und Räume für Austausch und Auseinandersetzung mit Führungsaufgaben, Rollenverständnis und Wirkung von Führung. Rivalität im Netzwerk erschwert Kooperation und den Austausch über Organisationsgrenzen hinweg.
  • Gesundheitseinrichtungen werden teils als starre, hierarchische Systeme erlebt, die den zukünftigen Anforderungen nicht gewachsen sind. Tendenziell größer werdende Führungsspannen gehen zulasten von Autonomie. Um zukünftige Aufgaben gut meistern zu können, braucht es über zentrale und dezentrale Strukturen hinweg einen gemeinsamen Blick auf die Kernaufgaben – die Arbeit mit den Patient*innen. Die Mitarbeiter*innen verspüren großen Druck in Richtung Effizienz und Kostenreduktion – das wird als Widerspruch zum Auftrag »Heilen/Behandeln« empfunden. Führung kann die scheinbaren Pole einander näher bringen – oder im schlimmsten Fall weiter spalten.
  • In der Öffentlichkeit ist eine Vertrauens-Erosion bezogen auf den Gesundheitsbereich spürbar. Dies wirkt nach innen. Wie können Mitarbeiter*innen von Gesundheitseinrichtungen mit Energie, Freude und Zuversicht an die Arbeit gehen, wenn Medien und eigene Kolleg*innen zunehmend in die Kritik gehen und das Ansehen der Organisation Schaden nimmt. Dabei ist der Blick stark auf dem, was nicht gelingt, was Probleme bereitet und viel zu wenig auf den Dingen, die gut laufen.
  • Der immer wieder geäußerte Wunsch nach mehr Mitarbeiter*innen, mehr materiellen Ressourcen ist auch im Licht von unlösbaren Aufgaben für Führung zu sehen. Führung bedeutet aber zum Teil auch das Managen von Widersprüchen – z.B. zusätzliche Aufgaben vs. weniger Personal.

Wie kann es gelingen, gemeinsame Bilder von Führung zu entwickeln?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es hilfreich ist, Führungsthemen anhand eins konkreten Modells zu besprechen und dafür den »Positive Leadership Diamanten« von trainconsulting2 gewählt.

Praxis von Führung – Wen oder was führt Führung?

  • Menschen – Darunter wird meist Mitarbeiter*innen-Führung verstanden. Das greift ein wenig kurz. Häufig verantworten Menschen Querschnittthemen oder Projekte und führen Menschen, die irgendwo anders in der Linie verortet sind. Oder sie bearbeiten Nahtstellen mit Gleichgestellten. Und auch Vorgesetzte werden »von unten« geführt. Besonders erfolgreich sind Organisationen, in denen Führung in alle Richtungen erfolgt und dies aktiv gefördert wird.
  • Die Organisation – Strukturen, Prozesse und Systeme müssen gestaltet und gesteuert werden. Viele davon entstehen über die Zeit hinweg aus einer grundsätzlich als sinnvoll erachteten Arbeitsroutine heraus. Die Aufgabe von Führung ist es, immer wieder die Sinnhaftigkeit dieser verfestigten Muster mit Blick auf zukünftige Entwicklungen der Umwelt und der Organisation zu hinterfragen.
  • Sich selbst – Ein »Objekt« von Führung, das gerne vergessen wird, ist Führung selbst. Darunter verstehen wir sowohl Selbstmanagement auf personaler Ebene wie auch Raum für Reflexion im Führungsteam.

Prinzipien von Positive Leadership – An welchen Prinzipien können wir Führung ausrichten?

  • Sinn – Die Bedeutung von Sinn im Kontext von Führung und Arbeit ist (fast) unumstritten. Und dennoch legen Führungskräfte wenig Aufmerksamkeit darauf, Beweggründe für ihre Entscheidungen, die Motive für Change-Projekte oder die Annahmen, die hinter Interventionen stehen, mit den Beteiligten in offenem Austausch zu besprechen.
  • Zuversicht – Fokus auf Stärken, Ressourcen, Gelungenes und positive Abweichungen stärken das Vertrauen, dass Vorhaben gelingen oder Ziele erreicht werden können.
  • Einfluss – Mitarbeiter*innen von Gesundheitseinrichtungen berichten häufig darüber, dass sie keinen Einfluss auf Entscheidungen nehmen können und sich fremdbestimmt fühlen. Dies führt dazu, dass Aufmerksamkeit auf Fremdbestimmung gerichtet ist und jene Bereiche, in denen (mit-)gestaltet werden kann, nicht mehr wahrgenommen werden. Menschen engagieren sich für das, was sie mit-geschaffen haben. Und sie empfinden bedeutend mehr Freude an ihrer Arbeit, wenn sie – wenn auch nur in kleinen Teilen – mit-gestalten können. Die Frage für Führung: Wo macht es Sinn, andere zu beteiligen? Wie genau und in welcher Form?

In einer gemeinsamen Reflexion über den Positive Leadership Diamanten kamen die Expert*innen an dem Abend zu folgenden Überlegungen und weiterführenden Fragen: 

  • Egal wie eng es ist, wir können gestalten. Selbst ein Austausch darüber, wie wir mit unveränderbaren Tatsachen umgehen, ist eine Form von Einfluss.
  • Führung ist Gemeinschaftsleistung und nicht rein individuelle Angelegenheit.
  • Wie kann Führen mit Sinn gelingen, wenn Menschen doch so unterschiedlich sind? Ein Zugang wäre, Sinnangebote an unterschiedliche Gruppen zu richten.
  • Häufig steuert Kostendruck die Aufmerksamkeit von Führung. Wirtschaftlichkeit ist eine wesentliche Lebensfunktion von Organisationen. Wie kann Kostenbewusstsein gelebt und Sparprogramme gestaltet werden, ohne Sinn zu vernichten?
  • Führung braucht Geduld für Veränderung und  (Anmerkung der Vortragenden: … Bewusstsein für die Vorbildfunktion von Führung im Change).
  • Warum ist es überhaupt so wichtig, dass alles immer schneller gehen muss?
  • Wie bekomme ich in meiner Organisation Sensibilität für Veränderungsprojekte?
  • Wie schafft man Sichtbarkeit für Gelingendes?
  • Wie lassen sich die existierenden Prinzipien in Organisationen mit den Prinzipien von Positive Leadership verbinden?

Die Beteiligung war stark und das Interesse an den aufgeworfenen Fragen groß. Die Tatsache, dass alle Gäste bis spät in den Abend hinein geblieben sind und – bei Wein und Fingerfood – intensiv weiterdiskutiert haben, ermutigt uns, zum Thema bald wieder mit ihnen in den Austausch zu gehen.

Verweise & Literaturempfehlungen

  1. Gigerenzer, Gerd/Schlegel-Matthies, Kirsten/Wagner, Gert G. (2016): Digitale Welt und Gesundheit. eHealth und mHealth – Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitsbereich
  2. Seliger, Ruth (2014): Positive Leadership – Die Revolution in der Führung
Portrait von Harald Lederer

Harald Lederer

Systemischer Organisationsberater, Wirtschaftstrainer, Experte für Non-Profit, Social Profit und Public & Health Care.

h.lederer@trainconsulting.eu
+43 699 120 20 028